Vor ziemlich genau sechs Wochen bin in Santiago angekommen.
Zeit für noch ein Resümee! Und dieses Mal ist es ein sehr sehr Persönliches!
Vielleicht könnt ihr euch noch daran erinnern, dass ich nie
wusste, WARUM genau ich diese Reise machen wollte?
Dass es mich einfach schon jahrelang
auf den Jakobsweg gezogen hat? Ich nur das Gefühl hatte, dass es WICHTIG oder
VON BEDEUTUNG sein könnte?
Was ich auf meiner Pilgerreise gesucht habe, weiß ich also
nicht so genau. Von meinen Tagestouren wusste ich, dass ich mich auf die Ruhe
und die Natur freute. Aber das war ja wohl nicht alles?
Vielleicht suchte ich auch ein kleines Abenteuer? Auf jeden
Fall war ich sehr neugierig! Okay, das bin ich normalerweise immer, aber dieses
Mal war ich tatsächlich noch neugieriger als sonst. Immerhin war es mein erster
längerer Auslandsaufenthalt und das dann auch noch allein in einem fremden Land
mit einer Sprache, die ich nur wenig beherrschte. Sehr aufregend!
Bevor ich schreibe, was ich so alles gefunden habe, möchte
ich erst einmal noch dazu etwas sagen, was ich verloren habe.
Als Erstes verlor ich auf dem Weg 5,3 Kilogramm
Körpergewicht (und gewann einiges an Fitness). Darüber freute ich mich
natürlich! Was ich auch verlor, waren zwei verschiedene Strümpfe und
wahrscheinlich mein Taschenmesser. Ich hoffe allerdings immer noch, dass das
Messer wieder auftaucht! (Ist es, aber tatsächlich erst während meines Umzugs 2018.)
Es gibt auch Dinge, die ich nicht verlor, sondern
verschenkte. Da wäre zum Beispiel meine Bauchtasche, die ich schon am dritten
Tag an ein Verkehrsschild hinter Villafranca del Bierzo hängte und hoffte, dass
jemand sie mehr gebrauchen könnte als ich.
Eine besonders schöne Erfahrung machte ich in Barbadelo:
Hier traf ich eine Frau, die Probleme mit ihrer Haut und der Sonne hatte, aber
kein Geld, sich einen Hut zu kaufen. Ihr vermachte ich am nächsten Morgen,
bevor sie aufbrach recht kurzentschlossen mein Basecap. Ich war zwar ein wenig
traurig, mein Souvenir aus dem zoologisch-botanischen Garten Wilhelma in
Stuttgart zu verlieren, aber mir war es wichtiger der Dame zu helfen. Sie war
auch wirklich sehr dankbar und hat sich gefreut! Zum Ende hin habe ich zudem
noch ein bisschen Kleinkram verschenkt.
Ja, und was habe ich gefunden?
Ziemlich viel, wenn man bedenkt, dass ich nichts gesucht
habe.
Erstens wäre da wohl eine große Gelassenheit.
Am Anfang hatte ich solche Angst, keine Herberge zu finden
oder wegen meiner vegetarischen Ernährung Probleme zu haben. Die Angst war am
Anfang nicht groß, erreichte aber nach ein paar wenigen Tagen ihren Zenit… ich
glaube in Trabadelo. Danach wurde es besser und spätestens in Portomarin war
sie ganz verschwunden. Ich wusste einfach, wie der Weg „so tickt“ und wie ich
mich bzgl. Essen und Schlafen verhalten konnte. Es war dann einfach kein
Problem mehr.
Zum Zweiten erfuhr ich, was Freiheit bedeutet.
Allein unterwegs zu sein hat tatsächlich einen nicht zu
unterschätzenden Nebeneffekt: Man tut genau das, was man möchte: Ich ging nur so
weit und so schnell, wie ich wollte. Ich machte Pausen, wann ich wollte und
solange ich wollte. Drückte der Schuh, konnte ich einfach anhalten und ihn
richten, ohne die anderen zu bitten auf mich zu warten. Hatte ich Hunger, aß
ich etwas. Hatte ich nach ein paar Kilometern keine Kraft mehr, musste ich mich
nicht weiter quälen, als nötig. Ich konnte die nächste Herberge nehmen…
Es gab tatsächlich nur noch wenige Dinge, die einschränkend
wirkten. Ich glaube das einzige, was mich wirklich hin und wieder nervte, war
das frühe Check-Out in den Herbergen ;-)
Und Drittens Vertrauen und das Gefühl, beschützt zu sein.
Blasen an den Füßen, Bettwanzen, Lipödem-Schmerzen, blaue
Flecken und Sonnenbrand… Auf dem Jakobsweg hat man immer so sein Päckchen zu
tragen. Aber hey! Es ging immer weiter und keiner meiner Probleme oder
Verletzungen führte dazu, dass ich abbrechen musste!
Am fünften Tag, nachdem mich der Schneesturm bei La Faba erwischt
hatte, war ich ganz schön verzweifelt. Während meiner Zwangspause am nächsten
Morgen besuchte ich die Kirche von O Cebreiro, wo ich meine erste Kerze angezündete und für eine
gute Reise betete. Ich wollte nicht aufgeben, denn ich wollte mir ja meinen
Traum erfüllen!
Und schon am nächsten Tag wurde mir klar, dass ich genau das
ja gerade tat! Dass ich hier gerade meinen größten Traum lebte! Auf dem Jakobsweg
sein! Oh, wie dankbar ich war! Das war auf den Hügeln vor Triacastela und es
fühlte sich nun auch das erste Mal so an, als ob meine Gebete tatsächlich erhört
wurden… Und dass ich beschützt wurde!
Dieses Gefühl konnte ich mir die ganze Reise erhalten.
Jedes Mal, wenn ich eine schwierige Situation überstand oder
eine tolle Aussicht genoss, schickte ich ein Dankgebet gen Himmel.
Meine Ängste schwanden und mein Vertrauen wuchs.
Heute schmunzele ich darüber, wenn ich darüber nachdenke,
wovor ich alles Angst hatte und was für Bedenken ich so hatte!